Gebete, Heft I - Vorwort

„Gebet“ – das klingt verstaubt und irgendwie antiquiert. Dabei kennt jeder Musiker im Grunde das Beten, vielleicht sogar inniger als mancher Priester. Musik, wenn sie gelingt, lässt Mensch und Kos-mos zu Einem verschmelzen. Man empfindet die Musik als Heimat.
Das klassische Gebet wird dann überflüssig. Denn da gehe ich davon aus, dass das Höchste entfernt von mir ist und es näher herankommen möge. Doch es ist nicht entfernt. Ich selbst bin eins mit dem Höchsten. Ich vergesse es nur oft. So gesehen brauche ich mich nicht an es zu wenden. Zwischen mir und dem Höchsten gibt es keinen Abstand.
Für mich heißt Beten: mich dessen vergewissern, was ich in Wahrheit bin. Mich an das erinnern, was ich schon immer war. Dabei erlebe ich mich als eins mit dem, an das ich mich wende. Worte und Töne verstummen, alles Wünschen und Wollen auch. Das eigentliche Gebet beginnt erst nach der Musik.
Jede Bitte, jede Frage trägt ihre Antwort bereits in sich. Die Antwort ist immer: Du bist schon, was du ersehnst. So auch in den vorliegenden Stücken. Ihnen gemeinsam ist, dass in jedem von ihnen eine Frage und eine Antwort verborgen ist – mal mehr, mal weniger offensichtlich. Frage und Antwort sind eins. Sie lösen sich ineinander auf und übrig bleibt – unsägliche Nähe, Vertrautheit, Liebe. Aus dieser Liebe sind die musikalischen Gebete entstanden; in diese Liebe gehen sie wieder ein.

 

Torben Maiwald (aus dem Vorwort)

 

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